Erinnerungen und Abschiede

Am Montag ging es für Judith nach Talitha Kumi (ihre alte Einsatzstelle) und ich machte mich auf den Weg in die Schule nach Beit Sahour, in der ich ein Jahr gearbeitet hatte. Das war vielleicht ein komisches Gefühl, durch das große Tor zu treten und über den Schulhof zum Lehrerzimmer zu laufen. Obwohl ich sowohl letztes als auch vorletztes Jahr schon in der Schule zu Besuch gewesen bin, war es dieses Mal noch ungewohnter. Auf der einen Seite erschien mir alles ganz vertraut, auf der anderen Seite merkte ich auch, wie lang mein FSJ nun doch schon her ist. Die Klassen, mit denen ich besonders viel Zeit verbracht hatte, waren gar nicht mehr an der Schule. Die damaligen Fünft- und Sechstklässler*innen waren nun größer als ich und sahen gar nicht mehr so kindlich aus... Auch im Kollegium gab es einige Wechsel, das Lehrerzimmer war neu eingerichtet und auch auf dem Schulhof gab es ein paar Neuerungen. Trotzdem war es sehr schön, die anderen Lehrer und Lehrerinnen wiederzusehen und ich freute mich, mit welcher Herzlichkeit sie mich begrüßten. Nachdem wir uns ein bisschen ausgetauscht hatten, machte ich mich dann aber auch schon relativ bald wieder auf den Rückweg. Denn alles ging natürlich seinen ganz gewohnten Gang, der neue Volontär war in den Deutschstunden dabei und ich hatte keine Aufgaben zu erledigen und fühlte mich dann doch irgendwie ein bisschen fehl am Platz. Bevor ich aber ging, besuchte ich noch meine ehemalige Vermieterin im Kindergarten (welcher auch mit auf dem Schulgelände ist). Ich kam einfach mit in ihre Kindergartengruppe, half den Kleinen beim Ausschneiden und Aufkleben und unterhielt mich nebenher mit Abeer, die während meines Freiwilligenjahres eine enge Bezugsperson für mich war. Wir verabredeten, dass ich am nächsten Wochenende zum Essen bei ihrer Familie vorbeischauen würde und verabschiedeten uns.

Ich setzte mich noch eine ganze Weile in mein Lieblingscafé in Beit Sahour. Irgendwie hatte mich der Besuch in eine ganz komische Stimmung gebracht: Ich fühlte mich so verbunden mit dem Ort und der Schule - immerhin hatte ich ja ein ganzes Jahr dort gelebt. Gleichzeitig merkte ich, wie viel in der Zwischenzeit passiert war und dass ich (trotz aller Herzlichkeit und Wiedersehensfreude) immer mehr zu einer Besucherin geworden war und nicht mehr dazugehörte. Ein Anflug von Wehmut machte sich in mir breit, der Abschied von Beit Sahour machte mein Herz ein bisschen schwer und nahm den Abschied, der in einer Woche folgen sollte, schon ein bisschen vorweg.

Am nächsten Tag hieß es dann aber erstmal Abschiednehmen von Judith, die sich schon wieder auf dem Heimweg nach Deutschland machte. Ich fuhr in diesem Zuge zurück nach Ramallah und kam nach einer langen Fahrt am späten Abend dort an. Unterwegs wurde der Bus erst über eine halbe von Soldatinnen kontrolliert, dann war irgendetwas am Motor kaputt und wir kamen nur im Schritttempo voran, mussten immer wieder anhalten und irgendwann aussteigen, um auf einen neuen Bus zu warten. Dann hieß es am Checkpoint erneut umsteigen - in einen völlig überfüllten Bus. Vom Checkpoint bis zur zentralen Busstation brauchten wir nochmal eine gute Stunde. Für einen Weg, den man sonst in 10-15 Minuten zurücklegen könnte, aber der Feierabendverkehr machte ein Durchkomen schier unmöglich.

 

Mittwochs ging es für mich früh am Morgen schon wieder nach Jerusalem: dieses Mal zu einer Fortbildung, des Goethe-Instituts. Tabea, die nebenbei auch noch einen Kurs am Goethe-Institut in Ramallah unterrichtet, hatte es möglich gemacht, dass ich einfach so teilnehmen konnte. Das Thema "Einsatz digitaler Medien im Fremdsprachenunterricht" war und ich habe wirklich viel aus diesem Tag mitgenommen und viele spannende neue Dinge kennengelernt. Schade nur, dass ich das nicht direkt anwenden kann - gerne hätte ich einige Medien mit den Studierenden der BZU ausprobiert. Aber das Praktikum ist ja bereits vorbei...

Ein paar Studierende sah ich aber am Donnerstag trotzdem nochmal wieder. Wir trafen uns zu einem leckeren Frühstück in einem gemütlichen Restaurant und unterhielten uns dabei sehr gut - natürlich auf Deutsch!

Es war richtig richtig schön, auch mal Zeit außerhalb der Uni mit den Studis zu verbringen und es war wirklich schade, dass mir nicht noch mehr Zeit mit ihnen blieb. Gerne hätte ich einige der Studierenden noch besser kennengelernt, hätte mein Praktikum noch länger gedauert, wären vielleicht wirkliche Freundschaften aus den Bekanntschaften entstanden... Am Ende habe ich sie alle ermutigt, mich mal in Deutschland zu besuchen und mich dann verabschiedet - gar nicht mal so leicht. Wie schnell ich in nur sechs Wochen einige der Menschen in mein Herz geschlossen hatte wurde mir bei diesem Abschied nochmal ganz deutlich bewusst.

 

Den Nachmittag verbrachte ich damit, meinen Koffer zu packen und saß dann noch ganz lange in einem meiner Lieblingscafés in Ramallah. Dort schrieb ich an meinem Praktikumsbericht und genoss den letzten Abend ganz in Ruhe bei gutem Essen und einem Glas Wein. Ja und dann hieß es am nächsten Morgen "Tschüss Birzeit! Tschüss Ramallah!". Mit dem Service und meinem Großen Koffer fuhr ich wieder nach Beit Jala, wo ich die letzten Tage bei meiner "Ersatzfamilie" bleiben wollte, um dort noch einmal Zeit mit den Menschen zu verbringen, die mir besonders wichtig sind. Begrüßt wurde ich von den Kindern direkt mit der Frage, ob der Nikolaus mir denn auch etwas in den Schuh gelegt hätte. Da ich diese Frage leider mit "nein" beantworten musste, wurde ganz großzügig mit mir geteilt - was mich natürlich sehr freute!

Am Nachmittag schrieb ich dann noch eine Weile an dem kurzen Praktikumsbericht, den ich in der Woche darauf abgeben musste. Der lange Praktikumsbericht für mein DaF-Studium kommt dann im Januar dran und ich habe wirklich gaaaar keine Lust darauf, 50-60 Seiten zu schreiben... Naja, vorerst schrieb ich acht Seiten und traf mich dann am Abend mit zwei ehemaligen Mitbläser*innen bei Brass for Peace. Die beiden waren während meines Freiwilligenjahres 16 Jahre alt und - obwohl wir uns immer sehr gut verstanden und viel Spaß miteinander hatten - gar nicht sooo sehr daran interessiert, neben Brass for Peace viel Zeit mit mir alleine zu verbringen. Das hatte sich total verändert: Zwei junge Erwachsene saßen vor mir, beide mitten in ihrem Bachelorstudium und sehr interessiert daran, sich mit mir über die unterschiedlichsen Themen zu unterhalten. Wir verbrachten also einen wirklich schönen Abend miteinander und es war tatsächlich schade, dass ich mich nicht schon früher bei ihnen gemeldet hatte.

 

Und als ich am Abend zurück zu Lorenz und Tamara kam, fand ich doch tatsächlich noch einen Schokoladennikolas in meinem Hausschuh...

Am Samstag machten wir - das heißt Lorenz, Tamara, die Kinder und ich - eine schöne Wanderung mit Caro und Mohammed. Inzwischen war es zwar schon ganz schön abgekühlt, aber zum Glück noch trocken und so wanderten wir acht Kilometer (mit den Kindern kam mir das allerdings viel weiter vor, weil wir natürlich viel länger brauchten). Am Abend aßen wir noch lecker in einem Restaurant zu Abend und feierten Caros Geburtstag ein bisschen nach.

Ja und dann ging das Abschiednehmen auch so richtig los. Das Wetter machte mir den Abschied zum Glück nicht ganz so schwer, denn seit Sonntagmorgen regnete es ununterbrochen...

Am Sonntagvormittag besuchten wir zusammen mit einem Lehrer aus Talitha, den ich schon von früher kannte, noch Rahels Grab, einen sehr wichtigen Ort für die jüdischen Israelis direkt hinter der Mauer in Bethlehem. Doch das ist eine andere, schwierige und auch sehr politische Geschichte, die ich nicht auf diesem Blog erzählen möchte. Vielleicht aber mal in einem Gespräch, wenn ich wieder in Deutschland bin. Ziemlich mies gestimmt fuhren wir danach wieder zurück nach Beit Jala und gingen dort schön essen, um die Stimmung am zweiten Advent doch wieder etwas aufzuhellen - zum Glück ist das durch das Essen und die Kinder gelungen :-).

 

Am Nachmittag besuchte ich dann noch meine ehemaligen Vermieter. Während meines Freiwilligenjahres hatte ich unter ihrer Wohnung gewohnt und viele Abende bei der Familie verbracht. Es war schön, sie alle wiederzusehen und direkt wieder als Teil der Familie betrachtet zu werden. Nach dem Besuch dort traf ich mich noch mit Dina, meiner Kollegin aus der Uni, die auch in Beit Sahour lebt. Mit ihr verbrachte ich den restlichen Abend und genoss die Zeit mit ihr wirklich sehr. Auch dieser Abschied fiel mir nicht gerade leicht, aber ich bin mir sicher, dass wir uns in nicht ganz so ferner Zukunft wiedersehen.